Zwangssanierung abgewandt: Die neue EU-Gebäuderichtlinie und was sie bedeutet
Die Zwangssanierung von Gebäuden ist mit der neuen EU-Gebäuderichtlinie vom Tisch (Foto: Webandi, Pixabay)
Die Verhandlungen zur EU-Gebäuderichtlinie haben sich lange hingezogen. Begleitet wurden sie von den Sorgen um mögliche Zwangssanierungen von Häusern. Seit März 2024 ist klar: Zwangssanierungen kommen nicht. Mit der neuen Gebäuderichtlinie soll sichergestellt werden, dass der Energieverbrauch von Wohngebäuden im Schnitt bis zum Jahr 2030 um 16 Prozent sinkt. Und noch einiges mehr.
Die neue EU-Gebäuderichtlinie: Das Wichtigste kurz gefasst
- In der EU fallen 40 Prozent des Energieverbrauchs auf Gebäude.
- Die lange Diskussion innerhalb der EU und Spekulationen über Maßnahmen zur Reduktion des Gebäudeenergieverbrauchs haben bei den Menschen eine Angst vor möglichen Zwangssanierungen geschürt.
- Die Europäische Union hat das Klimaschutzpaket „Fit for 55“ auf den Weg gebracht.
- Ende 2023 einigte sich die Europäische Kommission im Rahmen dieses Pakets auf eine neue Gebäuderichtlinie – ohne Sanierungspflicht für Wohngebäude.
- Die EU-Richtlinien müssen nun in deutsches Recht umgesetzt werden.
- In Deutschland schreibt das Gebäudeenergiegesetz bereits bestimmte Pflichten vor.
- Expert:innen warnen trotz der ausgebliebenen Sanierungspflicht vor hohen finanziellen Belastungen für Eigentümer:innen.
Das bedeuten Zwangssanierung und Sanierungspflicht
Von einer Zwangssanierung ist dann die Rede, wenn ein Gebäude aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe saniert werden muss. Das Rechtsportal Anwalt.org stellt klar, dass es in Deutschland „grundsätzlich“ keinen gesetzlichen Sanierungszwang gibt. Unter bestimmten Umständen kann aber eine Sanierungspflicht bestehen. Dazu später mehr.
Auch mit der neuen EU-Gebäuderichtlinie droht deutschen Eigentümer:innen kein Nutzungsverbot, da sie keinerlei Maßnahmen wie Enteignung oder Vermietungsverbot enthält. CDU-Politiker Markus Pieper, der im Europaparlament sitzt, bezeichnet das EU-Ergebnis explizit als „Befreiung von der Zwangssanierung“. Die Bundesregierung habe sich dafür eingesetzt, dass es keine generellen Sanierungspflichten von Wohngebäuden geben wird.
Deutsche Eigentümer:innen können sich etwas entspannen: Ein genereller Sanierungszwang wurde abgewandt (Foto: Cottonbro Studio, Pexels).
Gute Gründe für mehr Sanierungen
Der Gebäudesektor ist ein zentraler Baustein, wenn es um den Energieverbrauch und damit auch die Energiezukunft geht. In der Europäischen Union fallen 40 Prozent des Endenergieverbrauchs auf Gebäude, schreibt die auf Nachhaltigkeitsstrategien spezialisierte Beratungsfirma NordESG. In Deutschland sind es laut der Verbraucherzentrale mehr als 30 Prozent. Blickt man auf die Klimaschutzziele Deutschlands, verursache der Gebäudesektor seit mehreren Jahren mehr Treibhausgase als die Klimaschutzpfade als Obergrenze erlauben.
Dementsprechend bemühen sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten, diesen Bereich im Sinne des Klimaschutzes und der Energiewende nachhaltiger zu gestalten. Eine wichtige Rolle nimmt dabei die sogenannte EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) ein. Diese wird hier genau unter die Lupe genommen.
Das EU-Klimaschutzpaket „Fit for 55“ und die neue EU-Gebäuderichtlinie
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Ein Schritt auf diesem Weg ist das Klimaschutz-Paket „Fit for 55“. Ziel dessen ist die Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990.
Ein Teil des „Fit for 55“-Pakets ist eine neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die das Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch auf mindestens 42,5 Prozent bis 2030 anhebt, „möglichst aber auf 45 Prozent“, erklärte die Bundesregierung in einer Pressemitteilung. Für Solaranlagen auf Gebäuden sowie für Wärmepumpen würden die Genehmigungsverfahren verkürzt und zudem der Austausch bestehender Anlagen durch neuere und leistungsstärkere Technik vereinfacht.
Für einige Verbände ist das „Fit for 55“-Programm aber noch nicht weitgehend genug. Der WWF kritisiert, einige Aspekte der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen seien „in der Tiefe nicht ausreichend, um das Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 zu erreichen und die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen“. Er fordert Nachbesserungen, „damit die Klimabemühungen der Kommission nicht aufgeweicht werden.“
Das steht nun in der EU-Gebäuderichtlinie
Die neue EU-Gebäuderichtlinie hat als übergeordnetes Ziel, dass ab 2030 alle neuen Gebäude klimaneutral sein sollen – Gebäude in öffentlicher Hand sollen das bereits ab dem Jahr 2028 erfüllen. Das langfristige Ziel ist, den gesamten Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral zu machen. Fortschrittliche Energiekonzepte für Gebäude sind also vonnöten.
Im Mittelpunkt der EU-Einigung zu strengeren Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden steht der Energieverbrauch von Wohngebäuden:
- Dieser soll im Schnitt bis zum Jahr 2030 um 16 Prozent und bis 2035 um 20 bis 22 Prozent gegenüber 2020 sinken.
- Der größte Teil der Energieeinsparung, nämlich 55 Prozent, soll über die energetische Sanierung der jeweils energetisch schlechtesten Wohngebäude erfolgen.
- Wie genau das geschehen soll, ist den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen.
Verbindliche Vorgaben gibt es für Nichtwohngebäude:
- In diesem Bereich müssen 16 Prozent der am schlechtesten sanierten Gebäude bis 2030 renoviert werden. Bis 2033 sollen es 26 Prozent sein.
- Zudem besteht auf öffentlichen Gebäuden und Nichtwohngebäuden ab 2027 schrittweise eine Pflicht zur Installation von Solaranlagen, wenn dies technisch, wirtschaftlich und funktionell machbar ist.
Heizungsanlagen nehmen auch einen zentralen Teil in der neuen Richtlinie ein:
- Mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizungsanlagen sollen bis 2040 ersetzt werden.
- Bereits ab dem Jahr 2025 darf der Einbau einer reinen Gas- oder Ölheizung nicht mehr finanziell gefördert werden.
- Hybridlösungen, etwa die Kombination aus Gas und Solarthermie oder einer Wärmepumpe, dürfen finanziell unterstützt werden.
Falls eine alte Gas- oder Ölheizung mit einer Wärmepumpe kombiniert wird, darf sie auch 2025 noch finanziell gefördert werden (Foto: Alpha Innotec, Pexels).
Ausnahmen von der Richtlinie sind in diesen Bereichen möglich:
- Bei landwirtschaftlichen und denkmalgeschützten Gebäuden
- Bei Bauwerken, die wegen ihres besonderen architektonischen oder historischen Wertes geschützt sind
- Bei Kirchen und anderen Gotteshäusern
- Bei Ferienhäusern
- Laut der Tagesschau sind auch Ausnahmeregelungen für Rentner oder sozial benachteiligte Menschen denkbar.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bereits bis 2045 im Gebäudebestand Klimaneutralität zu erreichen. Um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, ist laut Wirtschaftswoche eine Sanierungsquote von zwei Prozent jährlich nötig. Bislang liegt diese aber nur bei rund 0,8 Prozent im Jahr.
Wie viel noch zu tun ist, macht auch die Deutsche Handwerks Zeitung deutlich. Demnach entsprachen Mitte März 2024 90 Prozent der Gebäude in Deutschland nicht dem Energieeffizienzstandard EH55. Das ist der Standard, den Neubauten nach den Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) im Minimum erfüllen müssen.
Die Deutsche Handwerks Zeitung geht davon aus, dass der Druck auf die Politik steigen wird, da die derzeitigen Fortschritte bei der deutschen Sanierungsquote „in weiter Ferne“ seien. Laut einer Marktdatenstudie der B+L Marktdaten Bonn im Auftrag des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle e.V. (BuVEG) besteht das größte Sanierungsdefizit an den Gebäudefassaden. Die Sanierungsquote beträgt dort lediglich 0,54 Prozent. Nicht viel höher, nämlich 0,75 Prozent, beträgt sie bei Dachsanierungen.
Diese Sanierungen sind in Deutschland bereits Pflicht
Die energetischen Vorgaben für Gebäude sind in Deutschland im Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) festgelegt. Insbesondere für Bestandsgebäude gibt es einige Austausch- und Nachrüstpflichten, die Eigentümer:innen grundsätzlich erfüllen müssen. Ein- und Zweifamilienhäuser sind davon ausgenommen, wenn die Eigentümer:innen bereits seit Februar 2002 selbst im Gebäude wohnen. Wer ein Ein- oder Zweifamilienhaus kauft, muss diese Pflichten innerhalb von zwei Jahren erfüllen.
- Austauschpflichtig sind Heizungen, die weder einen Brennwert- noch einen Niedertemperaturkessel haben und älter als 30 Jahre sind.
- Gedämmt werden müssen neue Heizungs- und Warmwasserrohre in unbeheizten Räumen.
- Oberste Geschossdecken zu unbeheizten Dachräumen mussten bereits bis Ende 2015 nachträglich gedämmt werden, wenn sie keinen so genannten „Mindestwärmeschutz“ aufweisen. Dieser beträgt in der Regel vier Zentimeter Wärmedämmung. Die Dämmpflicht gilt für alle zugänglichen obersten Geschossdecken – und zwar unabhängig davon, ob sie begehbar sind oder nicht.
- Ebenfalls Pflicht ist ein Energieausweis für alle beheizten oder gekühlten Gebäude, die neu vermietet oder verkauft werden sollen.
Falls die Eigentümer:innen eines Ein- oder Zweifamilienhauses seit mindestens Februar 2002 selbst im Gebäude wohnen, gilt die Pflicht zum Dämmen und zum Ersetzen der austauschpflichtigen Heizungen nicht.
Der Energieausweis soll potenziellen Mieter:innen und Käufer:innen einen Einblick in die energetische Qualität und damit auch in den Wohnkomfort der neuen Immobilie ermöglichen. Eigentümer:innen oder Makler:innen müssen den Kauf- oder Mietinteressent:innen den Energieausweis spätestens zum Besichtigungstermin unaufgefordert zeigen. Bestandsmieter:innen haben kein Recht darauf, den Ausweis zu sehen. Wurden die Energieausweise nach April 2014 ausgestellt, verfügen sie über Energieeffizienzklassen, in welche die Wohngebäude eingestuft werden. Diese Effizienzklasse und der Energiekennwert müssen dann bereits in der Immobilienanzeige veröffentlicht werden, sofern ein Energieausweis vorliegt.
Übertragung der EU-Gebäuderichtlinie in deutsche Gesetze
Am 12. März 2024 nahm das Europäische Parlament die bereits mit dem Rat der EU vereinbarte Überarbeitung der EU-Gebäuderichtlinie an. Als letzter Schritt auf EU-Ebene muss der Ministerrat die überarbeitete Gebäuderichtlinie förmlich billigen, damit sie in Kraft treten kann. Danach müssen die Mitgliedstaaten die europäischen Vorgaben in ihr jeweiliges Rechtssystem übertragen. Dafür haben sie zwei Jahre Zeit.
Deutschland hatte sich bereits während des europäischen Verhandlungsprozesses klar gegen Zwangssanierungen positioniert. „Die Bundesregierung lehnt eine Sanierungspflicht von einzelnen Gebäuden ab“, betonte Rolf Bösinger, Staatssekretär im Bundesbauministerium. Diese Ablehnung sei bereits am 25. September 2023 innerhalb der Bundesregierung beschlossen worden, berichtete die Wirtschaftswoche.
Auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte ihre Ablehnung gegenüber der ursprünglich vom EU-Parlament vorgeschlagenen Verschärfung der Gebäudeeffizienzrichtlinie bekräftigt. Sie betonte laut dem Blog Wohnen und Finanzieren, dass solch eine umfassende Sanierungspflicht nicht durch Gesetze erzwungen werden dürfe. Die nationalen Sanierungspläne Deutschlands seien ihrer Meinung nach ausreichend, um den CO2-Ausstoß signifikant zu reduzieren. Als das EU-Ergebnis im März 2024 präsentiert wurde, verkündete Geywitz stolz: „Wir haben den Sanierungszwang für Ein- und Mehrfamilienhäuser verhindert.“
Belastungen und Entlastungen für Eigentümer:innen
Obwohl die Zwangssanierung vom Tisch ist, warnen Expert:innen vor hohen Anforderungen für die Eigentümer:innen. „Wenn Eigentümer finanziell überfordert sind, wird es nicht zu den Sanierungen kommen“, sagte Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW).
ZIA-Geschäftsführer Joachim Lohse warnt vor der Gefahr „sozialer Spannungen“, die verteuertes Bauen und eine dadurch „verstärkte“ Wohnungsnot mit sich brächten. Der Eigentümerverband Haus & Grund warnt vor der Einführung von Mindeststandards für alle Gebäude: Das würde zu einem starken Wertverlust bei zahlreichen Immobilien führen.
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, plädierte, „die finanzielle Leistungsfähigkeit der sozial orientierten Wohnungsunternehmen und die Bezahlbarkeit insbesondere für Mieter mit mittleren und niedrigen Einkommen“ müsse unbedingt berücksichtigt werden. Man sollte aber nicht vergessen, dass es auch Entlastungen und Förderungen gibt, zum Beispiel bei Dachsanierungen oder bei der Installation von Photovoltaik.