Windanlagen und PV-Flächenanlagen können für Bürgerenergie genutzt werden. (Foto: Sebastian Koppehel, Wikipedia Commons)
Die Forderungen nach mehr Bürgerenergie werden in Deutschland immer lauter. Bürgerenergie-Beteiligungen und Bürgerenergiegenossenschaften entstehen, doch Deutschland hinkt anderen europäischen Ländern wie etwa Österreich oder Italien regulatorisch hinterher. Nur sieben der 16 Bundesländer haben Bürgerenergiegesetze. Ein Überblick über die Möglichkeiten der Bürgerenergie.
Bürgerenergie: Das Wichtigste kurz gefasst
- Bürgerenergie: Darunter fallen alle Projekte, bei denen Bürger:innen aktiv an der Energieerzeugung und Energienutzung beteiligt sind.
- Bürgerenergiegesellschaften: Für ihre Gründung sind mindestens 15 natürliche Personen erforderlich. Die staatliche Förderhöchstgrenze liegt bei 300.000 Euro pro Projekt.
- Einfache Beteiligungsmöglichkeit: Oft ist eine Mitgliedschaft schon ab 100 Euro möglich.
- Wind und Photovoltaik: Bürger:innen können sich an Windkraftanlagen und PV-Flächenanlagen beteiligen.
- Ausbaufähig: Nur 7 der 16 deutschen Bundesländer haben bereits Bürgerenergie-Gesetze oder ähnliche Gesetze.
- Druck auf die Politik: 73 Organisationen und Unternehmen fordern einen Bürger:innen-Energiegipfel.
Was ist Bürgerenergie und was steckt dahinter?
Unter Bürgerenergie sind alle Initiativen, Projekte und Genossenschaften gemeint, bei denen Bürger:innen aktiv an der Energieerzeugung und Energienutzung beteiligt sind. Das Ziel dahinter ist eine dezentrale und erneuerbare Energieversorgung, die von den Bürger:innen selbst mitgestaltet wird.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bringt es so auf den Punkt: „Bei der Bürgerenergie sind Bürgerinnen und Bürger die Akteure der Energiewende.“
Laut dem Bündnis Bürgerenergie ist Bürgerenergie „Ausdruck einer weitgehenden Demokratisierung von Wirtschaftsprozessen“ und spiele daher eine entscheidende Rolle „für eine ethisch und sozial verantwortliche Energiewende“. Damit sei sie „von höchster gesellschaftspolitischer Relevanz“ für die Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Das BMWK definiert auch, welche Rahmenbedingungen Bürgerenergiegesellschaften erfüllen müssen, um staatliche Förderungen in Anspruch nehmen zu können. Dafür braucht es mindestens 15 natürliche Personen als stimmberechtigte Mitglieder:innen oder stimmberechtigte Anteilseigner:innen. Die Förderhöchstgrenze liegt bei 300.000 Euro pro Projekt. „Bürgerenergiegesellschaften können vor Ort Strom erzeugen und erhalten dafür eine Vergütung, ohne an den Ausschreibungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) teilnehmen zu müssen“, teilt das Ministerium mit. Bei Windkraftanlagen liegt die Grenze bei einer Anlagenleistung von 18 Megawatt (MW), bei Photovoltaik (PV) bei 6 MW.
„Oft ist eine Mitgliedschaft schon ab 100 Euro möglich“, erklärt Dr. Andreas Wieg, Leiter der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV). „Auch Unternehmen, Vereine oder kommunale Einrichtungen können mitmachen.“ Auch die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das zum 1. Januar 2023 in Kraft trat, stärkt die Bürgerenergie. So werden Wind- und Solarprojekte von Bürgerenergiegesellschaften so weit wie möglich von den Ausschreibungen ausgenommen.
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Welche Formen der Bürgerenergie-Beteiligung wird es in Zukunft geben?
In Deutschland entwickeln sich immer mehr Energiegemeinschaften. Ein entscheidender Begriff dabei ist Energy Sharing. Der steht für ein lokales und partizipatives Energiekonzept, mit dem ein neuer Marktrahmen geschaffen werden soll, mit dem Mitglieder:innen solcher Energiegemeinschaften ihren Strom über das regionale Verteilnetz vergünstigt nutzen können. Für das Energy Sharing-Konzept gibt es eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2018. Das Problem: Anders als in anderen EU-Ländern wie etwa Österreich oder Italien, wo die regulatorische Ausgestaltung für die Umsetzung von Energiegemeinschaften schon weiter fortgeschritten ist, ist es in Deutschland noch schwer, eine Energiegemeinschaft zu starten.
Lokale Energiegemeinschaften
Lokale Energiegemeinschaften sind Zusammenschlüsse von Bürger:innen, die sich aktiv für ein gemeinsames Ziel einsetzen: Erneuerbare Energie lokal zu erzeugen, zu verbrauchen und oft auch zu teilen. Dabei nutzen sie erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse.
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Die bayerische Bürgerstiftung „Energiewende Oberland“ verdeutlicht, wo der größte Aufholbedarf besteht. Zum einen würden „regulatorische Anforderungen“ den Ausbau von PV-Anlagen erschweren. Außerdem berichtet sie von „komplizierten Ausschreibungsverfahren für Vergütungen und einer mangelnden Planbarkeit aufgrund unklarer gesetzlicher Rahmenbedingungen“. Kooperationen mit lokalen Netzbetreibern seien oft positiv, die bürokratischen Prozesse dagegen „oft langwierig und unübersichtlich“.
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Beteiligung von Bürger:innen an PV-Flächenanlagen
Die Bürger:innen des bayerischen Landkreises Ebersberg können sich seit Sommer 2024 an einer 1,5 Hektar großen Freiflächen-Photovoltaik-Anlage beteiligen. Statt einer Einmalzahlung, wie bei vielen Bürgerbeteiligungen üblich, bezahlen die Bürger:innen bei diesem Projekt eine jährliche Pauschale für die Beteiligung an der Erzeugungsanlage. Damit erwerben sie einen Anspruch auf den Marktpreis, den ihr Anlagenteil bei der Einspeisung des Sonnenstroms erzielt. „Als Prosument beziehen und verkaufen Sie Ihren Strom zum jeweils aktuellen Marktpreis”, heißt es auf der Homepage des kommunalen Energieversorgers Eberwerk.
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Bürger:innen können sich immer öfter an PV-Flächenanlagen beteiligen. (Foto: Pixabay)
Beteiligung von Bürger:innen an Windkraftanlagen
Ein gutes Beispiel für gelungene Bürger:innen-Beteiligung an Windkraftanlagen liefert die Gemeinde Lichtenau in Nordrhein-Westfalen. Sechs Windparks sind dort über die 15 Stadtteile verteilt. Bei zwei dieser Parks konnten Anwohner:innen Anteile an den Anlagen erwerben. Um sich dort einzukaufen, waren laut WDR mindestens 500 und maximal 25.000 Euro nötig. Dafür gibt es jedes Jahr Anteile am Gewinn der Windräder.
Eine zweite Möglichkeit der Partizipation ist in Lichtenau der Eintritt in Genossenschaften, die bei anderen Windparks der Gemeinde gegründet wurden. Über diese können die Bürger:innen von Lichtenau ebenfalls Anteile erwerben und am Gewinn mitverdienen.
Eine dritte Möglichkeit bieten sogenannte Nachrangdarlehen. Dabei nehmen die Betreiber:innen eines sich in der Entstehung befindlichen Windparks bei den Anwohner:innen Darlehen in Höhe von 500 bis 25.000 Euro auf. Die Verzinsung liege aktuell etwa bei fünf bis sechs Prozent und damit über dem marktüblichen Zins. „Innerhalb von 20 Jahren, das ist die übliche Lebensdauer eines Windparks, kann man mit diesem Zins sein Investment mehr als verdoppeln“, erklärt der WDR und verweist darauf, dass diese Form der Beteiligung auch andernorts sehr verbreitet sei.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bietet einen Überblick zu „Bürgerenergiegesellschaften bei Windenergie an Land”.
Bürgerenergiegesetze in den Bundesländern
Die 16 Bundesländer sind unterschiedlich weit, was Bürgerenergiegesetze betrifft. In Sieben gibt es bereits solche oder ähnliche Gesetze.
Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen verpflichtet das Bürgerenergiegesetz Nordrhein-Westfalen (BürgEnG) die Betreiber von Windkraftanlagen und PV-Flächenanlagen dazu, den Gemeinden und gegebenenfalls auch Nachbargemeinden, in denen die Anlagen errichtet werden, individuelle Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten. Bürger:innen können über unterschiedliche Modelle davon profitieren: Indem sie per Eigenkapitalbeteiligung direkt an der Investition teilhaben, von den Betreibern vergünstigte Stromtarife erhalten oder von pauschalen Direktzahlungen der Betreiber an die unmittelbaren Anwohner:innen profitieren.
Das Gesetz sieht auch ein Standard-Beteiligungsmodell vor, die sogenannte „Ersatzbeteiligung“. In dem Fall haben Betreiber eine Zahlung an die Gemeinde in Höhe von 0,2 Cent je erzeugter Kilowattstunde anzubieten – „womit den Gemeinden durch ein modernes Windrad meist mehr als 20.000 Euro pro Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen können, um diese gemeinwohlorientiert zu verwenden“, heißt es im Gesetz. Zudem haben Betreiber den Einwohnenden der Gemeinden eine Beteiligung an der Investition in Form von festverzinslichen Anlageprodukten anzubieten: sogenannte Nachrangdarlehen ab 500 Euro je Anteil mit einer attraktiven Verzinsung. „So können sich die Menschen vor Ort direkt an der Wertschöpfung der Vorhaben beteiligen“, steht im Gesetz, und gleichzeitig sei damit über die Gemeinden eine zielgerichtete und gemeinwohlorientierte Verwendung für alle Einwohnenden vorgesehen.
Mecklenburg-Vorpommern
In Mecklenburg-Vorpommern ist bereits 2016 eine gesetzliche Regelung in Kraft getreten. Errichter und Betreiber von Windenergieanlagen sind über das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (BüGembeteilG M-V) verpflichtet, die lokale Bevölkerung und die Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern umfassend zu informieren und finanziell an den Projekten zu beteiligen. Das Gesetz sieht drei Varianten vor: Bürger:innen und Gemeinden können entweder als Gesellschafter teilhaben, wobei der Kaufpreis der einzelnen Anteile 500 Euro nicht übersteigen darf. Variante 2 ist ein verzinstes Sparprodukt für Bürger:innen und die dritte Variante ein individuelles Beteiligungskonzept, das vom Wirtschaftsministerium geprüft und dann als Verpflichtung festgelegt wird.
Brandenburg
In Brandenburg ist seit 2019 das sogenannte Windenergieanlagenabgabengesetz (BbgWindAbgG) in Kraft. Es verpflichtet Betreiber von Windenergieanlagen zu einer jährlichen Sonderzahlung von 10.000 Euro an Kommunen im Umkreis von 3 Kilometern. Darüber sollen kommunale Veranstaltungen und soziale Aktivitäten gefördert oder das Ortsbild aufgewertet werden.
Sachsen
Dank des neuen Erneuerbare-Energien-Ertragsbeteiligungsgesetzes (EEErtrBetG) werden Anwohner:innen in Sachsen auf verschiedene Weise beteiligt: Durch Anlageprodukte, wie etwa Nachrangdarlehen oder Bürgersparbriefe, vergünstigte lokale Stromtarife oder Strompreisgutschriften, die Finanzierung gemeinnütziger Stiftungen oder Vereine oder eine finanzielle gesellschaftsrechtliche Beteiligung an den Anlagen (z. B. durch Bürgerenergiegesellschaften oder Genossenschaften).
Thüringen
In Thüringen trat im Juli 2024 das Thüringer Gesetz über die Beteiligung von Gemeinden an Windparks (ThürWindBeteilG) in Kraft. Kommunen müssen darüber verpflichtend an den Einnahmen von Windenergieanlagen beteiligt werden. Diese Gelder müssen zur „Akzeptanzförderung von Windenergieanlagen“ eingesetzt werden, etwa zur „Aufwertung von Ortsbild und ortsgebundener Infrastruktur“ oder zur Förderung kommunaler Veranstaltungen.
Saarland
Im Saarland gibt es seit Juli 2024 das Saarländische Gemeindebeteiligungsgesetz (SGBG), welches eine verpflichtende Beteiligung von Bürger:innen und Kommunen vorsieht. Eine Beteiligung kann an der Projektgesellschaft selbst, über den Kauf von Anlagen und Anlagenprodukten, über vergünstigte Stromtarife und Sparprodukte, pauschale Zahlungen oder die Finanzierung einer gemeinnützigen Stiftung erfolgen.
Niedersachsen
Hier regelt das Niedersächsische Bürgerbeteiligungsgesetz (NwindPVBetG) eine verpflichtende Beteiligung von Bürger:innen und Kommunen. Die Anlagenbetreiber sind dazu verpflichtet, für jedes neue Windrad oder jede Freiflächenphotovoltaikanlage eine Akzeptanzabgabe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde an die jeweilige Gemeinde zu zahlen. „Das sind rund 30.000 Euro pro Jahr für jedes neue Windrad, und zwar dauerhaft, solange die Anlage sauberen, klimaneutralen Strom produziert“, heißt es. Auch hier sind Nachrangdarlehen, kapitalgebende oder kreditgebende Schwarmfinanzierung, Sparprodukte oder die verbilligte Lieferung von Energie für die Bürger:innen möglich.
Neun Bundesländer bieten noch keine Bürgerenergiegesetze
Jedoch liegen in Bayern und Hamburg bereits Entwürfe vor.
Bayern
Seit Dezember 2023 prüft Bayerns Wirtschaftsministerium eine landeseigene Regelung, schrieb der Bayerische Rundfunk im Mai 2024. Die Grünen legten im September 2024 einen Entwurf für ein Bürgerenergiebeteiligungsgesetz vor. In Bayern herrsche „immer noch enormer Aufholbedarf, da nur die Hälfte des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammt“, teilten die Grünen dabei mit.
Berlin
Ebenfalls noch ohne Bürgerenergiegesetz ist Berlin. Die Grünen fordern auch dort die „Erarbeitung eines Gesetzes zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Windenergienutzung in Berlin, beispielsweise nach dem Vorbild des Bürgerenergiegesetzes in NRW (BürgEnG)“, hieß es im April 2024.
Forderung nach einem Bürger:innen-Energiegipfel
Die Chancen der Bürgerenergie werden in der Gesellschaft immer präsenter. Ende September 2024 forderten 73 zivilgesellschaftliche Umwelt- und Energie-Organisationen und Unternehmen unter dem Motto „Mitbestimmen, mitverdienen, mitmachen“ einen Bürger:innen-Energie-Gipfel der Bundesregierung. Aus Sicht der Unterzeichnenden, zu denen die Deutsche Umwelthilfe, das Bündnis Bürgerenergie, Germanwatch und auch Banken wie die GLS und die DKB gehören, fehle eine Strategie. Ein Gipfel mit Zivilgesellschaft, Branchenverbänden und ein Gesetzespaket zu Bürger:innen-Energie-Maßnahmen sei überfällig, erklärten die Unterzeichnenden übereinstimmend.
Letzte Änderung: 13.11.2024