Energiegemeinschaft Deutschland: Mehr als dem Nachbarn Strom verkaufen
Ursula Sladek und Dr. Michael Sladek sind Mitbegründer:innen einer Energiegemeinschaft Deutschland, die heute über 12.500 Mitglieder zählt. (Foto: EWS Elektrizitätswerke Schönau eG)
Energiegemeinschaft Deutschland: Eine dezentrale und ökologische Energiegewinnung durch die Initiative von Bürger:innen scheint ein Element der Transformation des heutigen Strommarkts zu sein. Dabei haben Energiegemeinschaften eine lange Tradition. Was steckt hinter dem Begriff? Warum gewinnen die Initiativen heute wieder an Relevanz und für wen lohnt sich die Mitgliedschaft oder gar Gründung?
Energiegemeinschaft Deutschland: Das Wichtigste kurz gefasst
- Energiegemeinschaften sind Initiativen, bei denen Bürger:innen, Unternehmen oder Kommunen gemeinsam Energie erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen.
- Anzahl: In Deutschland gibt es etwa 2.500 bis 3.000 Energiegemeinschaften.
- Ihr Hauptzweck ist es, Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Vorteile zu bieten, nicht primär finanzielle Gewinne zu erzielen.
- Bürgerenergiegesellschaften (BEG) können Energie aus verschiedenen Quellen erzeugen. Erneuerbare-Energie-Gesellschaften (EEG) konzentrieren sich ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen und fördern eine nachhaltige Energieversorgung.
- Hürden: In Deutschland gibt es hohe regulatorische und bürokratische Hürden für die Gründung und den Betrieb von Energiegemeinschaften.
- Erfolgreiche Beispiele in Deutschland sind die Energiegenossenschaft Leipzig, die EWS Elektrizitätswerke Schönau eG, sowie die Aschaffenburger Versorgungs-GmbH (AVG).
Energy Community Definition: So funktioniert eine Energiegemeinschaft
Was im Jahr 2024 Unabhängigkeit von großen Energieunternehmen schaffen soll, war am Ende des 19. Jahrhunderts für viele Bürger:innen in Deutschland eine Notwendigkeit. Regionen, die für die ersten Großunternehmen der Energiebranche keinen wirtschaftlichen Nutzen versprachen, waren darauf angewiesen, elektrische Energie selbst zu erzeugen und eigene Verteilnetze aufzubauen. So gab es in Deutschland bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten ca. 6.000 Elektrizitätsgenossenschaften. Bis 2012 sank diese Zahl auf nur knapp 50 Genossenschaften.
Heute gibt es laut dem Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) schätzungsweise etwa 2.500 bis 3.000 Energiegemeinschaften in Deutschland. Sie werden als Initiativen definiert, bei denen Bürger:innen, Unternehmen oder Kommunen gemeinsam Energie erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen. Das Konzept der Energiegemeinschaften, auch bekannt als „Energy Communities”, zielt darauf ab, lokale Energiemärkte zu schaffen. Ihr Hauptzweck besteht nicht darin, finanzielle Gewinne zu erzielen, sondern ihren Mitgliedern Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten. Eine detaillierte, allgemeingültige Definition einer Energiegemeinschaft gibt es jedoch nicht. Sie unterscheiden sich nach Land, Rechtsform, Geschäftsfeld, Form der finanziellen Bürgerbeteiligung und anderen Faktoren. Zwei übergreifende Arten der Energiegemeinschaft zeichnen sich dabei in der Europäischen Union ab.
Local Energy Communities: Welche Arten von Energiegemeinschaften gibt es?
Mit der Richtlinie für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Richtlinie mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt wurden auf EU-Ebene maßgebliche Änderungen für den Energiemarkt der Zukunft beschlossen. Beide Richtlinien sehen Energieverbraucher:innen als aktive Mitglieder („Prosumer“) im Mittelpunkt der Energiewende und definieren die Arten der Energiegemeinschaft erstmals juristisch.
Bürgerenergiegesellschaft
Eine Bürgerenergiegesellschaft (BEG) ist eine Gemeinschaft, die von Bürger:innen gegründet und betrieben wird, um die Erzeugung, Verteilung und möglicherweise den Verbrauch von Energie zu organisieren. BEGs zielen darauf ab, den Bürger:innen eine größere Kontrolle und Beteiligung an der Energieversorgung zu ermöglichen. Dabei kann die Energie aus verschiedenen Quellen stammen, nicht notwendigerweise aus erneuerbaren Energien. Auch Effizienzmaßnahmen oder Energiespeicherlösungen können durch eine BEG implementiert werden.
Erneuerbare-Energie-Gesellschaft
Eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft (EEG) konzentriert sich hingegen ausschließlich auf die Produktion und Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, wie Solar-, Wind-, Wasser- oder Biomasseenergie. Diese Gemeinschaften setzen sich explizit zum Ziel, die Nutzung von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung zu fördern. Sie sind in der Regel ebenfalls lokal organisiert und bieten ihren Mitgliedern die Möglichkeit, aktiv an der Energiewende mitzuwirken. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf dem Ausbau und der Förderung erneuerbarer Energien.
Bürger-Energie-Gemeinschaft: Vorbilder in Europa
Die Praxis gestaltet sich jedoch noch schwieriger: In Deutschland gibt es bislang keine Förderung für die von der EU-Kommission geforderte Nutzung des lokal erzeugten Stroms. Dagegen existieren entsprechende Regelungen bereits in Österreich, Italien und den Niederlanden. Im Gegensatz zum Mieterstrom nutzen Energiegemeinschaften das öffentliche Netz, um den Strom von der Erzeugungsanlage zum Verbraucher zu transportieren. Um hier sicherzustellen, dass Erzeugung und Verbrauch gleichzeitig stattfinden, muss der Energiefluss mindestens doppelt erfasst werden. Die dafür notwendigen baulichen und technischen Maßnahmen erfordern wiederum finanzielle Investitionen. Um das von der EU-Kommission geforderte kostengünstige Angebot zu ermöglichen, müssten diese Investitionen ausgeglichen werden. So wird in Italien das Energy Sharing mit 11 Cent pro Kilowattstunde für erzeugten und verbrauchten Strom gefördert.
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Beispiele für Energiegemeinschaften in Deutschland
Eine Studie des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) zeigt einen anhaltenden Aufwärtstrend. So wurden im Jahr 2022 deutschlandweit 36 neue Energiegenossenschaften gegründet. Außerdem stieg die Mitgliederzahl dieser Genossenschaften innerhalb eines Jahres um 20.000 auf insgesamt 220.000 an. Laut einer Untersuchung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) könnten rund 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland von vergünstigtem Strom aus Energy-Sharing-Projekten profitieren. Diese Einbindung privater Haushalte in die Energiewende schafft dabei nicht nur wirtschaftliche Vorteile für die Bürger:innen. Sie fördert die Dezentralität, Digitalisierung und gewissermaßen auch die Demokratisierung des Strommarkts und ist damit ein elementarer Treiber der neuen Energiewelt. Diese deutschen Projekte inspirieren schon heute:
Leipziger Bürgerstrom
Bürger-Energiegemeinschaft: Die Energiegenossenschaft Leipzig feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. (Video: EGL)
Die Energiegenossenschaft Leipzig e.G. wurde Ende März 2013 von Matthias Mattiza gegründet, um die Energiewende selbst in die Hand zu nehmen und aktiv den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Region voranzutreiben. Dabei legt sie besonderen Wert auf eine bürgernahe und nachhaltige Energieversorgung. Heute ebnet die Genossenschaft den Bau mehrerer Photovoltaikanlagen für kooperative Hausprojekte.
Strom-Community in Aschaffenburg
Energiegemeinschaft Kosten: Die bayerische Mittelstadt verfolgt mit dem Anbieter coneva ein innovatives Tarifmodell. (Foto: Stadt Aschaffenburg)
Die Aschaffenburger Versorgungs-GmbH (AVG) realisiert gemeinsam mit dem Technologie- und Softwareanbieter coneva ein Konzept für eine Strom-Community mit neuem Tarifmodell. Anstatt der üblichen Kosten- und Ertragsstruktur für Prosumer mit Eigenverbrauchsanlagen, wird innerhalb der Gemeinschaft berechnet, wie viel Energie die Mitglieder in die Community einspeisen oder daraus beziehen. Auf diese Weise wandelt sich die AVG von einem reinen Stromlieferanten zu einem umfassenden Energiedienstleister.
Energiegenossenschaft im Schwarzwald
Lokale Energiegemeinschaft: Im Firmensitz der EWS Elektrizitätswerke Schönau eG sind heute mehrere Tochtergesellschaften und Beteiligungen vereint. (Foto: EWS Elektrizitätswerke Schönau eG)
Die EWS Elektrizitätswerke Schönau eG ist eine Energiegenossenschaft, die aus einer Bürgerinitiative als Reaktion auf die Katastrophe von Tschernobyl entstanden ist. Die Geschichte der EWS begann 1997, als die Bürgerinitiative nach jahrelangem Einsatz das Stromnetz von Schönau übernahm. Heute versorgen die EWS deutschlandweit 215.000 Kundinnen und Kunden mit Ökostrom und Biogas. Um den Übergang zu dezentralen und erneuerbaren Energien zu fördern, bauen und betreiben sie Windkraft- und Solaranlagen. Zudem betreibt der Ökostromversorger ökologische Nahwärmenetze in der Region Südschwarzwald, die stetig ausgebaut werden.
Energy Community Deutschland: Mit einer Energiegemeinschaft durchstarten
Um eine Energiegemeinschaft zu gründen, müssen zunächst bestimmte rechtliche und organisatorische Voraussetzungen erfüllt werden. Dies beginnt mit der Wahl der passenden Rechtsform. In Deutschland etwa können sich Bürgerenergiegesellschaften als eingetragene Genossenschaft (eG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Verein oder andere geeignete Rechtsformen organisieren. Wie kann die Gründung einer Energiegemeinschaft aussehen?
Schritt für Schritt zur Energiegemeinschaft
- 1
Bedarfsanalyse und Zielsetzung:
Zunächst sollten potenzielle Mitglieder klären, welche Art von Energieversorgung sie anstreben und welche Ziele sie verfolgen. Dies kann die Nutzung erneuerbarer Energien, die Senkung der Energiekosten oder die Verbesserung der lokalen Energieautarkie umfassen.
- 2
Rechtsform wählen:
Basierend auf den Zielen und der geplanten Struktur der Gemeinschaft wird eine geeignete Rechtsform gewählt. Diese bestimmt die rechtlichen Rahmenbedingungen und Haftungsfragen.
- 3
Gründungsdokumente erstellen:
Es müssen Gründungsdokumente, wie Satzung oder Gesellschaftsvertrag, erstellt und von den Gründungsmitgliedern unterzeichnet werden.
- 4
Registrierung und Genehmigungen:
Die Gemeinschaft muss offiziell registriert werden, beispielsweise im Handelsregister. Gegebenenfalls sind weitere Genehmigungen, wie die für den Betrieb von Energieanlagen, einzuholen.
- 5
Finanzierung sichern:
Eine solide Finanzierungsstrategie ist entscheidend. Dies kann Eigenkapital, Kredite oder öffentliche Fördermittel umfassen.
- 6
Betriebsstart und Umsetzung:
Nach der organisatorischen und rechtlichen Gründung beginnt die praktische Umsetzung, wie der Bau von Anlagen oder die Installation von Energieinfrastrukturen.
Lokale Energiegemeinschaften: Hier Unterstützung finden
Trotz der zahlreichen Vorteile und der wachsenden Beliebtheit von Energiegemeinschaften gibt es Herausforderungen. Eine Studie der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) aus dem März 2022 kam so zu dem Schluss, dass die Umsetzung von Energiegemeinschaften in Deutschland durch regulatorische und bürokratische Hürden massiv erschwert wird. Dazu gehören komplexe Genehmigungsverfahren, hohe Anfangsinvestitionen und teilweise unklare rechtliche Rahmenbedingungen. Es gibt jedoch zahlreiche Institutionen, die bei der Gründung und dem Betrieb einer Energiegemeinschaft unterstützen. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) und verschiedene Landesenergieagenturen bieten Beratung und Informationsmaterial an. Zudem existieren spezialisierte Plattformen wie das Bündnis Bürgerenergie oder die Deutsche Informationsplattform Erneuerbare Energiegemeinschaften, die nützliche Werkzeuge und Leitfäden zur Verfügung stellen. Auch vereinzelte Förderprogramme der Bundesregierung und der Europäischen Union können finanzielle Unterstützung bieten. So können lokale Genossenschaften beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Fördergelder für die Errichtung von Windenergieanlagen beantragen. Informationen zu den Fördersätzen für Solaranlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sowie zum Mieterstromzuschlag finden Interessierte bei der Bundesnetzagentur.
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Warum sind Energiegemeinschaften wichtig?
Energiegemeinschaften sind von großer Bedeutung für die Energiewende und die Transformation des Energiemarkts. Neben der Förderung erneuerbarer Energien treiben sie die Dezentralisierung der Energieversorgung voran, indem sie die Produktion und Nutzung von Energie lokal organisieren und damit die Abhängigkeit von großen zentralen Energieunternehmen verringern. Dies erhöht die Resilienz und Stabilität der Energieversorgung, da lokale Gemeinschaften weniger anfällig für systemweite Störungen sind. Zudem tragen Energiegemeinschaften zur Energieautarkie bei, indem sie den Mitgliedern ermöglichen, unabhängiger von externen Energieversorgern zu werden. Das ist besonders wertvoll in Zeiten von Energiemangel oder Preisschwankungen auf globalen Märkten.
Wann macht es Sinn, über eine Energiegemeinschaft nachzudenken?
Es gibt viele Gründe, die Energy Sharing attraktiv machen. Vor allem empfiehlt sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema, wenn bereits erste Investitionen Erneuerbare Energien unternommen wurden. So kann der Beitritt oder die Gründung einer Energiegemeinschaft für Eigentümer:innen von gebäudeintegrierten Photovoltaikanlagen (BiPV) von erheblichem Nutzen sein. In einer Energiegemeinschaft kann überschüssiger Strom, der von der BiPV-Anlage beispielsweise mit Solardachziegeln oder herkömmlichen PV-Modulen erzeugt wird, mit anderen Mitgliedern geteilt oder verkauft werden. Dies eröffnet zusätzliche Einnahmequellen und verbessert die Wirtschaftlichkeit der BiPV-Anlage. Zudem ermöglicht ein gemeinsames Strompreismodell, das in vielen Energiegemeinschaften praktiziert wird, oft günstigere Konditionen für alle Beteiligten.
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Was kostet es, Mitglied in einer Energiegemeinschaft zu werden?
Insgesamt hängen die Kosten für eine Mitgliedschaft in einer Energiegemeinschaft von der jeweiligen Struktur und dem Modell der Gemeinschaft ab. Daher ist es ratsam, sich direkt bei der Gemeinschaft über die genauen Gebühren und finanziellen Verpflichtungen zu informieren. Oft können die Investitionskosten und laufenden Gebühren durch Einsparungen bei den Energiepreisen, mögliche Förderungen oder Subventionen ausgeglichen werden. Es kann erforderlich sein, sich neben einer Eintrittsgebühr an den Investitionskosten für die jeweilige Energieinfrastruktur zu beteiligen. Dies kann durch den Erwerb von Anteilen oder direkte Investitionen in Anlagen wie Solarmodule, Windturbinen oder Energiespeicher erfolgen. Viele Energiegemeinschaften erheben zudem jährliche Mitgliedsbeiträge, um laufende Kosten wie Wartung, Betrieb und Verwaltung zu decken.
Was muss passieren, damit Energiegemeinschaften für viele Haushalte in Deutschland möglich werden?
Damit mehr Energiegemeinschaften in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden können, müssen klare rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen und bürokratische Hürden abgebaut werden. Finanzielle Anreize und Förderungen sind entscheidend, um Investitionen zu erleichtern. Eine moderne technische Infrastruktur, wie Smart Grids und intelligente Zähler, ist notwendig. Smart Grids sind intelligente Stromnetze, die durch den Einsatz digitaler Technologien eine effiziente Steuerung und Überwachung des Energieflusses ermöglichen. Sie erleichtern die Integration erneuerbarer Energien und verbessern die Netzstabilität. Ebenso wichtig sind vereinfachte Genehmigungsverfahren. Aufklärung und Beratung fördern die Akzeptanz, während Netzwerke zwischen Kommunen, Energieversorgern und Bürgern den Aufbau von Energiegemeinschaften unterstützen.
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