„Die pure Freiheit“: Elektrotechnikmeisterin Annika Goebel leistet täglich einiges für die Energiewende und genießt dabei noch einen unvergleichlichen Ausblick. Was muss passieren, damit mehr Frauen den Schritt ins Handwerk wagen? (Screenshot aus dem Interview mit Annika Goebel von DasHandwerk)
Die Energiewende ist in vollem Gange: Bis 2030 sollen 80 Prozent des produzierten Stroms aus regenerativen Energiequellen kommen. Damit Deutschland dieses Tempo halten kann, braucht es ein gut aufgestelltes Handwerk. Besonders beim weiblichen Nachwuchs sind die Zahlen jedoch schwach. Wir schauen auf Erfahrungswerte und Beweggründe von Frauen im Handwerk. Und fragen: Gelingt die Energiewende am Ende durch Parität?
Frauen im Handwerk: Das Wichtigste kurz gefasst
- Der Anteil der Frauen im Handwerk lag 2022 bei 16,7 Prozent, in technischen Handwerksberufen weit darunter.
- Viele Frauen, die im Handwerk arbeiten, finden dort ihre Erfüllung - wissen aber auch, was sich noch ändern muss.
- Junge Frauen brauchen Vorbilder, die sie dazu animieren, auch ins Handwerk zu gehen.
- Bildungseinrichtungen und Medien tun zu wenig, um junge Menschen im Allgemeinen und Frauen im Besonderen zu einer Karriere im Handwerk zu bewegen.
- Jetzt ist genau die Zeit, junge Frauen für das Handwerk zu begeistern.
Wie viele Frauen arbeiten im Handwerk?
Es gibt zu wenig Frauen im Handwerk – im Jahr 2023 sollte dieser Satz eigentlich nicht mehr gelten. Und dennoch: 2022 lag der Frauenanteil unter den Auszubildenden laut Zentralverband des Deutschen Handwerks im Handwerk gerade einmal bei 16,7 Prozent.
In den technischen Handwerksberufen liegt der Anteil noch darunter, so berichtete etwa die Berliner Handwerksinnung bei den Auszubildenden im Sanitär- und Heizungshandwerk von einem Frauenanteil von lediglich 1-2 Prozent. Dabei sind die Stellen vorhanden, Mitte 2023 beispielsweise blieben gar 40.000 Ausbildungsplätze im deutschen Handwerk unbesetzt.
Welche Erfahrungen machen Frauen im Handwerk?
Erfahrungsberichte zeigen, dass Frauen sehr wohl im Handwerk angekommen sind und maßgeblich dabei helfen, die Energiewende anzukurbeln. Zahlreiche Junghandwerkerinnen bestätigten dies gegenüber dem Deutschen Handwerkskammertag (DHKT) e.V. in Mini-Dokumentationen. Sie berichten von gedanklichen und realen Hindernissen, vor allem jedoch von hohem Lernpotential und der Erfüllung, die Zukunft der Gewerke mitzugestalten. Ihre Perspektiven geben Aufschluss darüber, was sich ändern muss, damit durch mehr Parität im Handwerk auch der energetische Wandel stattfinden kann:
Annika Goebel, Elektrotechnikermeisterin: stolz auf ihre „Schafferhände“
Mit Photovoltaik zur Klimaretterin: Annika Goebel hat ambitionierte Ziele für ihren Berufszweig. Schon als Kind sei sie begeistert gewesen, wie aus der Sonne Strom entstehe. Heute geht sie in ihrem Job als Elektrotechnikermeisterin voll auf und scheint mit der Berufswahl vollauf zufrieden, auch wenn sie mit Nagellack nicht mehr weit komme, wie sie zu Beginn des Clips lachend zugibt.
Klimaretterin in Wort und Tat: Annika Goebel hilft mit ganzem Einsatz, Solarlösungen erfolgreich umzusetzen. Auf den Beitrag ihrer Branche ist sie dabei besonders stolz. Ihre Lieblingsaufgabe? „Die Verdrahtung von Smart-Home-Systemen mit den passenden Programmierungen.“ (Video: Das Handwerk)
Dass die junge Frau über die Grenzen ihrer akuten Aufgaben hinaus denkt, zeigen ihre reflektierten Äußerungen zur Energiewende: Sie wünscht sich, dass „Häuser und gerade Bestandshäuser mehr energetisch saniert werden, dadurch einfach unser Fußabdruck grüner wird und wir alle mit einem besseren Gefühl etwas für die Umwelt tun können“. Mit Handwerkerinnen wie ihr sollte aus diesem Wunsch bald Realität werden können.
Julia Schäfer, Maurerin: „Mein Handwerk hat mich selbstbewusst gemacht“
Flinker sei sie geworden, und stärker: Hört man Julia Schäfer sympathisch auf Badisch über ihren Werdegang schwätzen, bleibt kein Zweifel, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Zunächst habe sie studieren wollen, sich dann aber doch für einen praktischen ersten Schritt entschieden – und diesen nie bereut. Ein bisschen geschämt habe sie sich am Anfang, in die Männerdomäne einzusteigen. Aber „dann kam der Punkt, wo ich mir gedacht habe: Warum soll ich mein Handwerk verschweigen?“
Facettenreich – wer Julia Schäfer in Aktion beobachtet, dürfte die Annahme, dass das Dasein als Maurer:in nichts für Frauen sei, schnell beiseitelegen. Mit modernem Equipment meistert sie auch die körperlich fordernden Aufgaben. (Video: Das Handwerk)
Auf weibliche Vorbilder habe Schäfer während ihrer Lehre nicht zurückgreifen können: „Ich kannte keine Handwerkerin.“ Vielleicht ist sie deswegen so präsent auf Social Media, posiert auf Instagram vor beinahe 800.000 Follower:innen und beweist eindrucksvoll, dass Handwerk und Weiblichkeit wunderbar zueinander passen. Mädchen (und Jungen), die ihr dort anvertrauen, dass ihre Familie von einer handwerklichen Ausbildung abrate, sagt sie klipp und klar: „Mach’s doch einfach trotzdem.“
Nièl Braun, Dachdeckerin: Handwerk ist zukunftsorientiert
Mit guter Aussicht sieht man mehr – so freut sich Nièl Braun einerseits über den schönen Blick, den sie täglich während der Arbeit genießen darf, schaut aber andererseits auch über den Tellerrand des eigenen Berufsstandes hinaus: Auch nachfolgende Generationen sollen den Planeten noch lebenswert vorfinden. Daher setzt sie sich in ihrem Gewerk für Lösungen ein, die umfassend gut fürs Klima sind.
Nièl Braun liebt die Aussicht, die sie beim Job hat. Ihr wichtigstes Werkzeug dabei? Ihre Hände: „Ohne die wäre ich echt aufgeschmissen auf dem Dach.“ (Video: Das Handwerk)
Die Weiterbildung zur PV-Managerin steht deshalb als nächste Etappe auf ihrem Plan. Braun zeigt, dass neben den tatsächlich handwerklichen Tätigkeiten auch die Kund:innenberatung ein zentraler Bestandteil des Berufsbildes ist.
Vanessa Didam, Schornsteinfegerin: das pure Freiheitsgefühl
Junge Menschen, die nach Dankbarkeit und Wertschätzung im Beruf suchen, empfiehlt Vanessa Didam ohne Umschweife den Weg als Schornsteinfeger:in: „Es ist total schön, dass man einen Beruf ausüben darf, der mit Glück assoziiert wird und so einen tollen Stellenwert in der Gesellschaft hat.“
Für Diversität im Handwerk setzt sich die Schornsteinfegermeisterin und Energieberaterin Vanessa Didam ein. Durch Medienpräsenz möchte sie jungen Frauen den Weg ins Handwerk nahelegen. (Video: Das Handwerk)
Auch sie habe sich zu Beginn der Ausbildung geschämt, gerade dann, wenn sie die typische Berufsbekleidung habe anlegen müssen und im direkten Vergleich mit gleichaltrigen Jungs stand: „Viele machen vielleicht Abi oder gehen reisen, und ich arbeite“. Doch die Motivation, etwas für die Umwelt zu tun und Häuser auf einen klimafreundlichen energetischen Standard zu holen, war größer. Heute sei sie ein anderer Mensch: „Man muss immer wieder über seine eigenen Schatten springen.“ Das hat sie mit der Wahl zur Vize-Miss Germany 2022 wohl geschafft.
Sophia Zens, SHK-Anlagenmechanikerin: Bedenken durch Praktika entwertet
Ob Schule, Familie oder Medien: Sophia Zens erzählt, ihr sei von allen Seiten von einer Handwerksausbildung als Anlagenmechanikerin abgeraten worden. Vorurteile, man müsse schlicht Fäkalien beseitigen, hätten beinahe ihr Übriges getan und Zens vom Kurs abgebracht. Ein zweimonatiges Praktikum aber bestätigt: Das macht ihr ziemlich viel Spaß.
Den Meisterinnentitel im Visier: Sophia Zens will kreativen Nachwuchs ins Handwerk holen. Wer Sachen gern selbst in die Hand nehme und kreativ sei, solle eine handwerkliche Karriere in jedem Falle erwägen. (Video: Das Handwerk)
Besonders gefällt ihr, dass sie Empfehlungen ausspricht, welche Ressourcen man im Verbund mit erneuerbaren Energien nutzen kann, und „dass man sich immer wieder fortbilden muss“. Mit einem Vorurteil will sie dabei besonders aufräumen – nämlich damit, dass man sich im Bau „kaputt“ mache: „Ich denke, früher war es anders, aber mittlerweile haben wir viele Hilfsmittel.“
Michèle Boncori, Kältemechatronikerin: Mit Mut in die Selbstständigkeit
Ausschlaggebend für Michèle Boncoris Ausbildung zur Kältemechatronikerin war der Rat eines befreundeten Handwerkers: „Kälte ist geil, mach das doch einfach“. Nachdem das Studium der Innenarchitektur nicht mehr infrage kam, folgte über Umwege eben jene Lehre. Heute ist die junge Frau ihre eigene Chefin – und bearbeitet viel mehr als nur Klimaanlagen.
Pharmaindustrie, Lebensmittel und Transportwege: Michèle Boncori hält mit Kältetechniklösungen diese systemrelevanten Sektoren am Laufen. (Video: Das Handwerk)
Der Umgang mit unterschiedlichen Werkzeugen schüchtert Boncori dabei schon lange nicht mehr ein, im Gegenteil: „Löten war das erste, was ich gezeigt bekommen habe, und es macht mir Spaß, mit der Flamme zu arbeiten.“ Von Frauen wünscht sie sich mehr Mut bei der Berufswahl und dass sie eigene Interessen stärker verfolgen – „ganz egal, was andere davon halten.“
Leonie Schnetz, Auszubildende Zimmerin: Handwerk „einfach ausprobieren“
Das Gefühl, nicht nur einen Job, sondern bei der Arbeit beinahe ein Hobby auszuüben, ist selten. Leonie Schnetz hat es im Rahmen ihrer Ausbildung zur Zimmerin gefunden. Nach dem Abitur erschien ein Studium sinnvoll, aber auch bei ihr gab ein Praktikum den nötigen Impuls zur handwerklichen Lehre. Heute schätzt sie die nachhaltigen Seiten des Berufsbildes, wie viel Zeit sie draußen verbringt und dass sie mit dem Naturmaterial Holz arbeiten darf.
Auch in ihrer Freizeit werkelt Leonie Schnetz und hilft ehrenamtlich, Ställe und Dächer zu reparieren. (Video: Das Handwerk)
„Man merkt schon, dass man mit der Zeit immer mehr tragen kann und auch mehr Muskeln aufbaut“, entkräftet Schnetz das Vorurteil, Frauen können den Beruf der Zimmerin wegen fehlender Kraft womöglich nicht ausüben. Überhaupt: Herausforderungen schrecken die Auszubildende nun nicht mehr ab. Sie träumt davon, irgendwann einen eigenen Bauernhof zu sanieren.
Anne Heidrich, Fliesenlegerin: Handwerk ist auch filigran
Nicht nur mit den Händen, sondern auch mit dem Kopf arbeitet Anne Heidrich. Die Fliesenlegerin klärt auf: Man müsse gut planen und überlegen, bevor man ans Werk gehe. Läuft dann alles richtig, gäbe es Grund zur Freude: „Die Leute haben jetzt 20 Jahre etwas davon und ich hab’s gemacht.“
Hofft, dass Frauen in Berufe einsteigen, die ihnen wirklich Spaß machen: Anne Heidrich steht zu 100 Prozent hinter ihrem Dasein als Fliesenlegerin. (Video: Das Handwerk)
Die eigene Leistung mache sie dabei „unglaublich stolz“, und dass Fliesenleger:innen den täglichen Fortschritt so genau sähen, trage zur Zufriedenheit bei. Heidrich glaubt übrigens: „Das Handwerkliche liegt sehr vielen Frauen“. Mehr weiblicher Nachwuchs sollte deswegen den Schritt in die Lehre wagen, doch auch die männliche Sichtweise müsse sich ändern: „Klar, warum sollte das eine Frau nicht können? Es gibt viele Kollegen, die noch nie Berührung damit hatten.“
Luisa Buck, Klempnerin/Spenglerin: zur Kultur beitragen
Schon als Kind wurde Luisa Buck dazu angehalten, mit ihren Händen zu arbeiten. Für sie ist daher zweifelsfrei klar: „Du kannst das als Frau auch alles packen. Lass dir ja nichts anderes einreden.“ Wer so überzeugt von seinen Fähigkeiten ist, kann auch mit 23 ein eigenes Haus kaufen und kernsanieren – als „Hobby“.
Von schüchtern zu selbstbewusst – Luisa Buck findet, sie sei mit ihren Aufgaben gewachsen: „Mein Beruf hat mich herausgefordert und mutig gemacht.“ (Video: Das Handwerk)
An ihrem Beruf liebt Buck die „filigranere Seite“ und auch, dass sie andererseits „mal so richtig die Sau rauslassen darf“. Ihr Highlight: Historische Gebäude zu sanieren und so dazu beizutragen, dass Geschichte erhalten bleibt.
Was muss geschehen, dass mehr Frauen ins Handwerk gehen?
Während diese Frauen große Erfüllung in ihren Berufen erfahren, gibt es durchaus noch Vorurteile und problematische Rollenverständnisse, die beim Berufseinstieg im Weg stehen können. Von Scham ist die Rede, von fehlenden weiblichen Vorbildern und männlichen Mentoren. Auch Studien bestätigen: In den Bildungseinrichtungen und Medien geschieht nicht genug, um junge Menschen im Allgemeinen und Frauen im Besonderen zu einer Karriere im Handwerk zu bewegen.
Bildungsstätten & Handwerkskammern
Das Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh) hat 2015 unter dem Banner „Frauen im Handwerk. Status Quo und Herausforderungen“ im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellungzahlreiche Einzelstudien zusammengetragen. Hierbei wurde klar, dass das Informationsangebot in den Bildungsstätten unzureichend ausfalle und vor allem jungen Mädchen nicht aufgezeigt werde, welche Möglichkeiten ihnen im Handwerk zur Verfügung stehen.
Unsere Interviewreihe zur „Schönen, neuen Energiewelt“ hat außerdem gezeigt: Noch ist dem Nachwuchs generell nicht bewusst, was für eine sichere berufliche Zukunft das Handwerk bietet, gerade vor dem Hintergrund der Energiewende. Für Bauunternehmer Genc Hoxha liegt das vor allem an den wenigen Bildungsangeboten, die junge Menschen über das Handwerk informieren. Hier sollten sich auch die Handwerkskammern stärker einschalten, schlägt das ifh vor. Die Mini-Dokumentationen sind dabei nur eine von vielen Möglichkeiten.
Medien
Auch die Repräsentation in den Medien fällt laut dem Institut vornehmlich männlich aus – von weiblichen Vorbildern und einer Chancengleichheit im Handwerk keine Spur, weder in Sachberichten, noch in fiktiven Formaten in Print, TV und Digital. Dabei betonten die oben porträtierten Handwerkerinnen gerade das Fehlen von Frauen in Vorbildfunktionen. Einige von ihnen engagieren sich daher bereits eigenständig für mehr Sichtbarkeit von Frauen in den Gewerken; so ist Vanessa Didam beispielsweise regelmäßig zu Gast in Talkshows und berichtet von ihren Erfahrungen.
Heute trägt Vanessa Didam ihre Berufsbekleidung mit Stolz – und in verschiedenen Medienformaten, in denen die Schornsteinfegerin für mehr Frauen im Handwerk wirbt. (Screenshot aus dem Interview mit Vanessa Didam von Das Handwerk)
Fazit: Jetzt ist genau die Zeit, junge Frauen für das Handwerk zu begeistern
Das Handwerk und sein Nachwuchs werden ein Schlüssel zur Energiewende sein, wie die Handwerkskammer zurecht angibt. Wollen wir also unsere ambitionierten Klimaziele erreichen und Solar- und andere nachhaltige Energielösungen wie Solardachziegel noch erfolgreicher forcieren, müssen mehr junge Menschen und vor allem Frauen für das Handwerk gewonnen werden.
Dazu braucht es mehr weibliche Vorbilder, die helfen können, veraltete Rollenbilder zu modernisieren und Scham über diesen Berufszweig abzubauen. Medien, Bildungsstätten und Handwerkskammern stehen besonders in der Verantwortung, diese Entwicklung zu unterstützen.
Auch praktische Erfahrungen für junge Mädchen wie etwa der Mädchen-Zukunftstag Girls’Day tragen zur Entstigmatisierung von Handwerksberufen als Männerdomänen bei. Am jährlichen Girls’Day werden junge Frauen beispielsweise aufgefordert, in eher maskulin gelesene Berufe einzutauchen. Praktika und Informationsangebote ermöglichen ähnlich positive Erfahrungen, sollten aber noch stärker forciert und ermutigt werden. Doch auch bereits im Handwerk etablierte Männer können helfen: Als Mentoren und offene, respektvolle Kollegen obliegt es ihnen, eine einladende Arbeitsatmosphäre zu schaffen.