New Work im Handwerk: Teamwork als Schlüssel zum Erfolg

Tischler zur linken und sein Lehrling zu seiner rechten

New Work setzt auf Teamwork statt auf starre Hierarchie (Foto: Pressfoto, Freepik )

Schluss mit der trüben Stimmung, hin zu einem guten Arbeitsklima: Das funktioniert auch im Handwerk mit sogenannten New-Work-Prinzipien. Wer Handwerker:innen selbstbestimmt arbeiten lässt und in Entscheidungen einbezieht, erntet höhere Motivation, Innovation und Leistung. Was bedeutet New Work und wie lassen sich die Prinzipien im Handwerk umsetzen?

New Work im Handwerk: Das Wichtigste kurz gefasst

  • Entstehung: New Work wurde Ende der 70er Jahre als freiheitliches Arbeitsmodell entwickelt und bis heute weiterentwickelt und etabliert.
  • Die Prinzipien von New Work sind: 1. Freiheit, 2. Selbstverantwortung, 3. Sinn, 4. Entwicklung und 5. Soziale Verantwortung.
  • Vorteile: Unternehmen aller Branchen, die New Work praktizieren, verzeichnen ein verbessertes Klima, in dem viele Mitarbeitende motivierter und innovativer arbeiten und mehr Leistung bringen.
  • New Work Mittelstand: Handwerksbetriebe sind überwiegend Kleinstbetriebe, die in der Regel weder die personellen noch die finanziellen Ressourcen haben, um New Work zu implementieren.
  • New Work im Handwerk muss nicht bedeuten, dass Handwerker 4 Tage pro Woche arbeiten. New Work kann von Handwerker:innen auch als eine Rückkehr zur sinnstiftenden Arbeit erlebt werden.
  • New Work Praxisbeispiele zeigen: Erfolgsfaktoren bei der New-Work-Umsetzung sind passende Software-Lösungen zur Digitalisierung, eine offene Kommunikation und Fehlerkultur. 
  • Besonderer Vorteil im Handwerk: New Work hat das Potential, die jungen Menschen für das Handwerk zu gewinnen, die dringend benötigt werden.

Definition, Entstehung und Status von New Work

New Work beschreibt eine moderne Arbeitsphilosophie, die sich durch flexible Arbeitszeiten, dezentrale Entscheidungsprozesse und eine starke Fokussierung auf Selbstverantwortung und Sinnhaftigkeit auszeichnet. Sie zielt darauf ab, traditionelle Hierarchien aufzubrechen und den individuellen Bedürfnissen sowie den kollektiven Zielen gerecht zu werden. 

Einfach gesagt dreht sich bei New Work alles um eine freiheitliche Gestaltung der Arbeit. 

Entstehung der New-Work-Bewegung

Der österreichisch-US-amerikanische Sozialphilosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann wanderte zur Zeit des Nationalsozialismus zunächst von Sachsen nach Österreich und nach Kriegsende in die USA aus. Seine Auswanderungserfahrungen und Erforschung der verschiedenen Arbeitsmodelle führten ihn zu der Erkenntnis, dass eine freiheitliche Gesellschaft den Menschen auch eine persönliche Handlungsfreiheit bei der Arbeit ermöglichen sollte. 

Der deutsche Arbeitspsychologe Markus Väth entwickelte Bergmanns Theorie später weiter und veröffentlichte 2019 die New Work Charta mit fünf Prinzipien.

Fünf New-Work-Prinzipien

  1. 1

    Freiheit

    Schaffen von Experimentierräumen, Schaffen einer Kultur der Angstfreiheit, starke Vernetzung innerhalb der Organisation

  2. 2

    Selbstverantwortung

    Etablieren von Modellen der Selbstorganisation, Erweitern der Budget-Autorität, Etablieren von Beteiligungsmodellen

  3. 3

    Sinn

    Spaß an der Arbeit, Erweitern des Wertschöpfungsbegriffs, Überprüfung von Strukturen und Prozessen

  4. 4

    Entwicklung

    Etablieren kollektiver Lernstrukturen, Selbstreflexion der Organisation, Etablieren kollektiver Entscheidungsstrukturen

  5. 5

    Soziale Verantwortung

    Ökologische und soziale Nachhaltigkeit, regionales Engagement, Prinzip des ehrbaren Kaufmanns

     

    Quelle: New Work Charta von Markus Väth, 2019

Status von New Work heute

Der Wirtschaftspsychologie-Professor der Berlin University of Applied Sciences Carsten Schermuly führt im Rahmen seiner New-Work-Forschung eine jährliche Befragung mit seinem Team durch - mehrheitlich in großen Industrie-, IT- und Beratungsunternehmen. Die als New-Work-Barometer veröffentlichten Ergebnisse zeigen: “New Work ist weiter populär und gehört in vielen Unternehmen zum Standardrepertoire (Ergebnisbericht zum New Work-Barometer 2023).”

New Work im Handwerk

Angetrieben von den Bedürfnissen der jüngeren Generation und von der Digitalisierung wird New Work auch die Arbeit im Handwerk und die handwerklichen Berufsbilder transformieren. Handwerksbetriebe sind überwiegend Kleinstbetriebe, die im Gegensatz zur Industrie in der Regel weder die personellen noch die finanziellen Ressourcen haben, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Dementsprechend haben viele Betriebe New Work entweder noch nicht auf dem Radar, oder sehen darin mehr Bedrohung als Chance (siehe  New Work: Der Einfluss von Megatrends und Geschäftsmodellinnovationen auf die Arbeit im Handwerk der Zukunft, Handwerkskammer Konstanz).

New Work im Handwerk braucht Beratung

Angesichts begrenzter Ressourcen sind externe Beratung und kooperative Lösungen entscheidend, um den handwerklichen Kleinstbetrieben zu helfen, die Prinzipien von New Work zu verstehen und praktisch umzusetzen. Ein solcher New-Work-Berater ist Stefan Janßen, der über 30 Jahre einen mittelständischen Handwerksbetrieb mit 40 Mitarbeitenden in Friesland führte. “Ich wuchs in einem Familienbetrieb in das Handwerk rein. Dabei entwickelte ich erst aus Bequemlichkeit, dann aus Überzeugung ein Verständnis von Zusammenarbeit, das auf Vertrauen und Könnerschaft anstatt auf Kommando und Kontrolle basiert”, so Janßen, der New-Work-Prinzipien einfach umsetzte, ohne jegliches Vorwissen.

Nach Übernahme seines Unternehmens durch eine dänische Firmengruppe begann Janßen, kleine Handwerksbetriebe zu beraten: “Es geht dabei nicht direkt um die Freiheit flexibler Arbeitszeiten, wie ich sie z.B. mit dem Sechs-Stunden-Tag oder der Vier-Tage-Woche habe, oder um das mobile Arbeiten im Homeoffice, sondern um Sinn durch wirkliche Könnerschaft.” Mehr noch: “New Work ist die Rückkehr zur sinnvollen Arbeit, also zum arbeiten dürfen, was ich als Mensch wirklich will, und da ist das Handwerk bereits ganz weit vorne. Bei uns ist der Sinn schon praktisch inkludiert.“ Aus Sicht von Janßen erntet das Handwerk mit New Work Wertschätzung: “Viele Jahre waren die Serienfertigung und der Taylorismus das Maß der Dinge und haben im Handwerk zu einer falschen Sichtweise geführt. Durch New Work kann sich das Handwerk wieder auf seine ursprüngliche Arbeitsweise besinnen: Die komplexe Fertigung durch Könner in einer Manufaktur.”

Portait von Stephan Janßen
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New-Work-Berater Stefan Janßen hilft Handwerksbetrieben bei der Umsetzung von New-Work-Prinzipien (Foto: Stefan Janßen). 

New Work im Handwerk braucht Anleitung

Der New-Work-Berater sieht in den Innovationen der Arbeitskultur kein Privileg der „Wissensarbeiter:innen“. Für seine Initiative zur Umsetzung von New-Work-Konzepten im Handwerk „Baustelle Zukunft“ erhielt er 2020 einen New Work Award der Firma New Work SE - Betreiberin der Karriereplattform XING. Als Prototyp für nachhaltiges, technikarmes Bauen macht “Baustelle Zukunft“ die Prinzipien von New Work erlebbar: “Das Handwerk ist sozusagen die Mutter aller Start-ups, was wir mit der Initiative Baustelle Zukunft praktisch aufzeigen“, erläutert Janßen. Die Digitalisierung und die damit verbundenen Arbeitsmethoden sind aus seiner Sicht nur Werkzeuge, nicht New Work an sich: “Der Einsatz von Drohnen zum Vermessen von Dachflächen ist ein bequemes Werkzeug, das die Arbeit erleichtert. Es gibt unserer Arbeit jedoch keinen anderen Sinn.”

New Work im Handwerk sorgt für Nachwuchs

Janßen ist es wichtig zu betonen, dass New Work im Handwerk keine Modeerscheinung ist, sondern eine Antwort darauf, was Kund:innen und Mitarbeiter:innen von jedem Unternehmen erwarten: “Bei der jetzigen Generation funktioniert das Prinzip Schmerzensgeld gegen Anwesenheit allgemein nicht mehr." New Work hilft bei der Gewinnung von Nachwuchs, aber nicht von selbst: “Ohne Vertrauen und Transparenz funktioniert New Work im Handwerk nicht”, erläutert Janßen. “Wir sind in einer Gesellschaft, wo es jetzt Bereiche gibt, in denen die Jüngeren einen höheren Wissensstand haben als die Älteren, auch die Meister.”

Mitarbeitende selbst über zeitliche Arbeitsabläufe mitbestimmen zu lassen und eine transparente Hierarchie sind wichtige Voraussetzungen, damit New Work im Handwerk gelingt und Nachwuchs anzieht: „Früher ist der Meister alle Baustellen abgefahren, um Auskunft zu geben und zu kontrollieren. Heute sagen wir nur noch: Das Dach soll zu einem Termin fertig werden. Eigenverantwortlich und selbstständig zu handeln, gibt Handwerker:innen später das richtig gute Gefühl, selbst mit den eigenen Händen etwas Langlebiges gebaut zu haben.“

New Work im Handwerksunternehmen starten

Im ersten Schritt machen viele Handwerksbetriebe eine Bestandsaufnahme: Machen wir schon New Work? Wenn ja, wie viel? Was fehlt noch für ein “neues Handwerk”? Dafür bietet das Handwerk-Magazin des Verlags Holzmann Medien eine Checkliste, mit der Handwerksbetreiber den Stand der Unternehmenskultur in Ihrem Betrieb ganz einfach einordnen können. Zu den 14 Fragen zählt zum Beispiel die Frage, ob die Mitarbeitenden die Unternehmenszahlen kennen und wenn ja, wie diese kommuniziert werden. Die Frage zielt auf das Maß an Vertrauen und Offenheit im Unternehmen ab.

New Work Beispiele - so kann New Work im Handwerk gelingen

lignum³ ist eine Zimmerei und Schreinerei in Mainz, die New Work praktiziert. Der Betrieb wird vom Zimmerermeister Karim El Batanony und vom Schreinermeister Claudius Gessner geführt. Für die beiden Handwerksmeister ist New Work unverzichtbar. Aus ihrer Erfahrung gelingt New Work im Handwerk – entgegen der Einschätzung von New-Work-Berater Janßen – nur in Kombination mit Digitalisierung und der dafür nötigen Software. Weitere Erfolgsfaktoren sind eine offene Kommunikation und eine Unternehmenskultur, in der Fehler gemacht werden dürfen. 

Mann auf einem Balkon
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Zimmerermeister Karim El Batanony setzt auf einen mutigen, vertrauensvollen Dialog mit Mitarbeiter:innen und Kund:innen. (Foto: lignum³ GmbH)

Erfolgsfaktor: Digitalisierung und Software

„Wir hatten einen Mitarbeiter, der für uns CAD-Zeichnungen für Bauprojekte von Schweden aus erstellt hat, da er dort bei seiner Freundin wohnte”, erzählt El Batanony. Mit dem Breitband-Internet habe alles gut geklappt. Gessner ist sich sicher, dass digitale Arbeitsprozesse entscheidend für die Weiterentwicklung und Attraktivität des Handwerks für junge Menschen sind. „Wenn der Azubi zu Hause alles digital machen kann und der Kunde auch remote im Homeoffice arbeitet, ergibt es keinen Sinn, wenn wir im Handwerk noch mit mehrfarbigem Durchschlagpapier arbeiten und die Prozesse des Auftrags nicht für alle Mitarbeiter:innen transparent sind“, erklärt Gessner das digitale Arbeitsmodell.

Ein Foto von einem Kran
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Der Handwerksbetrieb lignum³ GmbH sucht mit IT-Entwicklern nach neuen mobilen Softwarelösungen, um Arbeitsprozesse schneller abzuwickeln (Foto: lignum³ GmbH)

2022 wurde lignum³ als „Attraktiver Arbeitgeber Rheinland-Pfalz 2022“ für den Einsatz einer betriebsinternen Software ausgezeichnet, die von der Angebotserstellung bis zur Schlussrechnung alles digital abwickelt. Aus Sicht von Gessner ein Schlüssel für den Erfolg von New Work im Handwerk: “Bei uns führen die digitalen Prozesse zu neuen Arbeitsmodellen, die ganze Arbeitsvorbereitung kann anders stattfinden.” Gessner erläutert, wie das im Betrieb praktisch aussehen kann: „Ich mache morgens einen Plan für die Baustellen, der für alle transparent zugänglich ist. Mit Lohnminuten, Materialkosten und sogar unserem Gewinn. Die Azubis können da hineinschauen. Das gibt dem Team eine ganz andere Motivation und es hat einen positiven Einfluss auf die Kommunikation beim Kunden.” Gessner, der seine IT-Erfahrungen auch als Dozent für “Technologie & Handwerk” bei der Handwerkskammer Rheinhessen teilt, schmiedet bereits weitere Pläne. Er wünscht sich ein Tool mit mobiler Schnittstelle, mit dem er gleich beim Kunden vor Ort einen Kostenvoranschlag erstellen und Material bestellen kann. Aus seiner Sicht reichen die vorhandenen IT-Produkte für die New-Work-Bedürfnisse im Handwerk nicht: „Wir könnten noch viel flexibler und transparenter für die Kunden arbeiten, falls wir andere Softwarelösungen bekommen würden.”

Erfolgsfaktor: Kommunikation

New Work ist für Gessner nicht unbedingt das Umsetzen der Vier-Tage-Woche. Sondern als Arbeitgeber:in attraktiv zu sein: mit agilen, lösungsorientierten Kommunikationsprozessen. „Es müssen nicht alle Freunde sein, doch den für einige Betriebe typischen harten Ton gibt es hier nicht. Für uns ist wichtig, dass offen untereinander kommuniziert wird und dass unter den Teams auf den Baustellen kein Schweigen herrscht.“

Handwerker auf einem Haus
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Richtfest auf der Baustelle: Flache Hierarchien und Kommunikation auf Augenhöhe sind bei lignum³ wichtig (Foto: lignum³ GmbH)

Momentan arbeiten 17 Personen im Unternehmen: zwei Meister:innen, sieben Gesell:innen und fünf Azubis. Langfristige Fachkräfte anzuwerben und zu binden, geht für Claudius Gessner und Karim El Batanony nur mit New-Work-Arbeitsmodellen. Nachwuchssorgen plagen sie nicht: „Bei uns schulen gerade drei Leute um. Wir haben auch keine Probleme, Azubis zu finden. Viele Anfragen für Praktika müssen wir momentan sogar ablehnen", erläutert El Batanony. Bevor er als Zimmerermeister zu lignum³ kam, hatte er Probleme mit dem Umgangston auf dem Bau: „Es gibt leider noch eine Menge Handwerksbetriebe, die nichts von New Work halten, wo die Arbeit immer noch nach dem Prinzip “Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ verteilt wird.“

Erfolgsfaktor: Fehlerkultur

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Eigeninitiative und Lernen aus Fehlern sind bei New Work gefragt (Foto: lignum³ GmbH)

„Bei uns dürfen Auszubildende gerne Fehler machen und jene sollen auch direkt ohne Angst angesprochen werden. Wir setzen auf Eigenverantwortlichkeit. Da braucht es einen verständnisvollen Umgangston, gerade auch bei Fehlern", beschreibt Gessner das vertrauensvolle Arbeitsklima, das auf einen sicheren und offenen Umgang setzt.

Falls Handwerksbetriebe keinen Nachwuchs finden, könnte es aus Sicht von El Batanony an der veralteten Fehlerkultur liegen: “Bei vielen Betrieben ist immer noch ein rauer Umgangston, sogar mit Praktikant:innen die Regel. Viele schreckt dieser Umgang ab, weil sie dann Angst haben, Fehler zu machen und Fragen zu stellen.” Das Unternehmen setzt außerdem auf Diversität. „Wir sind ein sehr bunter Betrieb. Zwei Italiener und zwei Brasilianer. Nicht, dass wir gezielt nach Menschen aus anderen Ländern gesucht haben. Ich denke, dass nur Betriebe gezielt nach Fachkräften aus dem Ausland suchen, die allgemein Probleme haben, Mitarbeiter zu finden", so El Batanony. Der Frauenanteil ist mit einer Zimmerer-Gesellin und zwei Schreiner-Auszubildenden im Vergleich zum miserablen Frauenanteil im Handwerk fast schon hoch.

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